Andrea Behn
DAS WEITE SUCHEN
Das Osthaus Museum Hagen widmet der Herdecker Malerin, Zeichnerin und Plastikerin eine Einzelausstellung mit insgesamt 43 Positionen aus den Jahren: 2014 bis 2023. Andrea Behns Malerei, die in dieser Präsentation im Vordergrund steht, ist von einer fast körperlosen Materialität. Die Werke scheinen zu schweben, vor allem dann, wenn sie in einem Museum auf weiß gestrichenen Wänden angebracht werden und sich den Schauenden darbieten. Ihr aufwendiger Werkprozess ist in der Vergangenheit mehrmals beschrieben worden. Die mit viel Flüssigkeit und Acrylfarben stark durchgearbeiteten Kraftpapiere werden auf Leinwände aufkaschiert und erhalten auf diesen Bildträgern eine neue Existenz. Die in vielen Schichten bearbeiteten Papierarbeiten sind wie eine Haut, die auf einen neuen Körper aufgetragen wird. Die feinen Nuancen, die lässigen wie auch auffallend betonten Gesten in diesen Arbeiten laden eher zum Verweilen als zum schnellen Durchblicken ein. Wir folgen den hauchdünnen Spuren der geflossenen Farbe, die eine innerbildliche Abstraktion freilegt, wie auch jenen, an Naturformen erinnernden Abdrücken. Unsere Blicke verdichten sich.
Andrea Behns Bilder sind Zeit-Bilder. Die Künstlerin benötigt viel Zeit, um die Papiere mit entsprechender Intensität zu gestalten, und wir benötigen Zeit, um diese Werke, an denen wir eben nicht einfach vorbeigehen können, uns zu vergegenwärtigen. Das Schauen wird vor diesen Werken zum Thema. Diese wirkenden Kompositionen werden mit einer sicheren Hand erstellt, die selbstredende große Erfahrung voraussetzt. Andrea Behns Bilder sind definitiv keine Serienwerke. Diese Arbeiten sind Prototypen; es existieren keine annähernd ähnlichen Bilder, diese Werke sind in ihrer Identität einmalig. Inhärent ist ihnen ein Schweben, ein landschaftsähnliches Fließen, ein gedämpftes Rauschen, eine bisweilen durchwärmte Farbgebung.
Tayfun Belgin
Direktor
Einführung Andrea Behn&Jessica Toliver Kunstverein Hamm, 7. November 2021
Dialog bedeutet Kompromiss! Wir lassen uns auf den Standpunkt des anderen ein. Auch Kunst entsteht im Dialog! Kunst ermöglicht Dialog! So auch in dieser Ausstellung.
Andrea Behn und Jessica Toliver kennen sich seit vier Jahren und haben zum ersten Mal den Dialog gewagt. Wir wissen zu gut, ein Dialog kann nicht immer einvernehmlich sein, auch im Gegensätzlichen liegt ein Reiz. Augenscheinlich herrscht bei beiden Künstlerinnen ein starkes Interesse für die Abstraktion und am Ausdruck von Haptik. Die eine setzt mehr oder weniger auf Farbigkeit, die andere dagegen auf Schwarz-Weiß. Für beide spielt das Papier als Materialträger eine wichtige Rolle und für beide ist der Prozess des Entstehens, der auch da prozessuale Denken miteinschließt, ebenso bedeutsam wie das Endergebnis. Mit ihrer Präsentation versuchten die beiden Künsterinnen, die ausgestellten Werke miteinander schwingen zu lassen aber gleichzeitig die eigenständige Handschrift zu betonen.
Andrea Behn studierte in Dortmund Grafik-Design, erhielt eine Gesangsausbildung und lebt seit vielen Jahren als freie Künstlerin in Herdecke. Erneut erhält sie die Möglichkeit eines 6-monatigen Aufenthalts in der Cité Internationale des Arts in Paris, einem Ort der Künstler:innen aus der ganzen Welt beherbergt. Eine ihrer bemerkenswerten Arbeiten „Kunst am Bau“ ist die künstlerische Gestaltung und Innenausstattung des Kinderpalliativzentrums in Datteln.
Andrea Behns Arbeiten könnte man rückwärts entschlüsseln. Schicht für Schicht visuell abschälen, bis man auf dem eigentlichen Malträger landet – nämlich Papier. Dass unter den vielzähligen – zuweilen sind es 4o- 100 Farbschichten – Papier zum Tragen kommt, kann man durch die Anschauung nicht feststellen. „Ich war schon immer eine Papier-Liebhaberin“, sagt die Künstlerin. „Es ist die glatte Oberfläche dieses Materials, die es ermöglicht, mir die Arbeiten zu eigen zu machen.“ Dass sie ihre Papierbilder zum Schluss aber letztendlich auf Leinwände kaschiert, geschieht lediglich, um ihnen einen wie die Malerin sagt, „Körper“ zu geben. Andrea Behn geht planmäßig vor. Die spontan wirkenden Strukturen, Streifen Schwünge sind nicht das Ergebnis eines impulsiven Schaffensakts. Vielmehr sind sie das Resultat eines wohl überlegten Prozesses aus Malen, Abkleben und Abklatschen, der darauf abzielt, jegliche Gestik möglichst auszuschalten. Andrea Behn lässt auf ihren Arbeiten keine schützende Hülle entstehen, wie man es häufig bei Ölmalereien erlebt. Die Oberfläche ihrer Arbeiten ist taktil, offen, verletzlich, sie atmet und erweitert sich von daher auch farblich in den angrenzenden Raum. Ihren Reiz gewinnen die Arbeiten durch die Überlagerung der Schichten, das Zusammenspiel von Formen, vor allem von Licht, Schatten, Stimmung und Farbe. Andrea Behn versteht es mit ihren subtilen Malereien Raum zu erzeugen, in dem die Betrachtenden nicht nur mit den Augen spazieren gehen, sondern noch tiefer hineingezogen werden.
Jessica Toliver lebt und arbeitet in Schwerte, ebenfalls als freischaffende Künstlerin. Seit 2010 entwickelt sie ein künstlerisches Gesamtkonzept für das Industriedenkmal Rohrmeisterei in Schwerte. Für das Internationale Frauenfestival Dortmund gestaltet sie 2011 den Dortmunder Dokumentarfilmpreis und – das möchte ich gern an dieser Stelle sagen – hat sie im Jahre 2019 für unser Museum einen Papierschnitt geschaffen, explizit für die Sammlung Angewandte Kunst, ein außergewöhnlich ästhetisches Element, das als überraschende Intervention in unserem Biedermeierzimmer hängt.
Seit langem fertigt Jessica Toliver abstrakte Papierschnitte in höchster Präzession, die durch ein Spiel von Licht und Schatten bestechen. Sie ist fasziniert von ganz natürlichen und einfachen Materialien wie Kohlestückchen, Kohlestifte, Kohlestaub Holz und Papier und verlangt danach mit jenen Materialien die größtmögliche Wirkung zu erzielen. „Ich beschäftige mich derzeit mit der Authentizität meines Materials“, sagte mir die Künstlerin in einem ausführlichen Gesrpäch: Ich untersuche äußere Einwirkungen oder Manipulationen darin und führe das eingesetzte Material zu einer maximalen bildnerischen Reduktion.“ Jessica Toliver interessiert sich für Gegensätze, etwa von grober archaischer Gewalt und filigraner Zerbrechlichkeit. Unter ihren Händen entfalten sich auf dem Papier aus Kohle geriebene malerische grauchangierende Kompositionen. In jenen atmosphärisch aufgelösten Gebilden, die jeglicher Erdenschwere enthoben, scheint sich der Betrachter zu verlieren. Bei anderen Arbeiten drückt sie mit Kohle verriebenes regennasses Papier auf frische Baumscheiben. So entstehen Musterungen, die vor allem durch Assoziationen gegenständlich werden. „Es ist nicht alles kalkuliert, es passiert, manchmal sind Regentropfen, mal mein Schuh oder meine Hände im Werk zu erahnen“, sagt die Künstlerin, die immer wieder ihre Emotionen, ihre Leidenschaft und ihre physische Kraft in ihr Schaffen mithineinwirft. Die Unebenheit des Papiers, die teils durch den Prozess entsteht, wird belassen. Das Gebogene verleiht dem Papier Lebendigkeit. Zuweilen wird das Papier nur an feinen Nägeln oder Klebepunkte wandfern angebracht, um nicht nur dem Prozess, sondern auch der Fragilität wie auch der Stärke des Papiers Ausdruck zu verleihen.
Für Jessica Toliver wie auch für Andrea Behn bedeutet Kunstschaffen ein großes Stück Selbständigkeit und diese Form der Selbständigkeit bedeutet auch die Bereitschaft, sich selbst auszubeuten oder in einem Feld zu suchen, ob es sich lohnt oder nicht lohnt. Sie bleiben einfach dran und sich treu und sie machen ihr Ding. Was bedeutet sein Ding machen? Ich denke – vor allem sich nicht beirren lassen, nicht loslassen. Auch die Pandemie und die damit verbundene Verschiebung dieser Ausstellung lähmten nicht. Die Künstlerinnen entwickelten ihren Dialog – gestärkt durch ihr Stehvermögen und Kreativität sowie die Wertschätzung füreinander. Die Wertschätzung füreinander, dieser für mich spannenden Frage wollte ich gerne nachgehen. Daher habe die beiden vorgestern noch gebeten, doch ein Statement abzugeben, in dem sie die gegenseitige Anerkennung formulieren. Sie haben bereitwillig angenommen, zum guten Schluss hier die beiden Plädoyers:
Jessica Toliver über die Arbeiten von Andrea Behn
Andreas Werke strahlen für mich eine sehr präsente, beinahe körperhafte Ruhe aus-
eine ernsthafte und sinnliche Quicklebendigkeit. Ihre Bilder vereinen Beides: sowohl den virtuosen Umgang mit teils fein nuancierter, teils explosiver Farbigkeit als auch das aus vielen Schichten aufgebaute Schwarz und Weiß. Ich mag ihr bildhaftes Spiel aus Kontemplation und forciertem Zufall, das sich in beharrlicher Ausdauer zigfach wiederholt, bis der Moment der inneren und äußeren Sättigung eingetreten ist.
Und Andrea Behn über die Arbeiten von Jessica Toliver
Mich fasziniert an Jessica das Spannungsfeld zwischen ihrer groben Herangehensweise – dem archaischen und existenziellen Tun und – das feingliedrige – hochsensible – geduldvolle Schaffen – sich sammeln – sich erden – LEICHTES zu finden. Das SCHWARZ und WEISS mit diesen unendlich vielen Zwischentönen.
Mit ihrer großen Durchlässigkeit und den feinen Sinnen entstehen ihre Werke
Der Spagat wäre ein treffendes Bild – bei dem eine Zeh weit von dem anderen entfernt ist – im Dazwischen wachsen die Findungen und Entscheidungen – ist die Konzentration – die Hingabe. Die Arbeiten, die in diesem Spannungsfeld entstehen, sind (auch) gegen den Strich gebürstet und haben eine besondere Kraft, Größe und Ernsthaftigkeit.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Und nun viel Freude beim spannenden Dialog, der neue Sichtweisen auf die beiden Künstlerinnen ermöglicht.
Einführung zur Ausstellung Andrea Behn / Bettina Schülke, „basement“, Wien, 21.09.2018
Gemäß dem diesjährigen Themenschwerpunkt des „basement“ steht auch die aktuelle Ausstellung unter dem Motto „Das Bild bewegt – Das bewegte Bild/Raum und Struktur“, wobei sich die beiden Künstlerinnen Andrea Behn und Bettina Schülke besonders auf den Begriff der Interaktion beziehen.
Bei den Arbeiten von Bettina Schülke – vor allem bei ihren „Stereoscopic Textile Images“ – wird das Thema Interaktion für uns als Betrachterinnen besonders augenscheinlich, da wir die Farbigkeit dieser textilen Faltenbilder abhängig von unserer Position im Raum jeweils anders wahrnehmen. Das eigentliche Wesen der Werke, ihre spezifische Charakteristik, erschließt sich also nur durch ein aktives Verhalten der BetrachterInnen. Dabei entsteht der Eindruck eines bewegten Bildes, ein Phänomen, das uns zwar aus der Op Art bekannt ist, von Bettina Schülke jedoch mit gänzlich anderen Mitteln erzielt wird. In beiden Fällen wird die vermeintliche Bewegung bzw. Veränderung des Bildes durch den Betrachter evoziert.
Die Interaktion des Betrachters mit dem Bild ist somit eine wesentliche Voraussetzung der Wahrnehmung und macht darüber hinaus bewusst, dass es zwischen Bild und Betrachter eine wechselseitige Beziehung gibt, die durch den Raum und das Licht zusätzlich beeinflusst wird. Dadurch verweigern sich Schülkes „Stereoscopic Textile Images“ letztlich aber dem Status eindeutig zu definierender Bilder; sie verharren vielmehr in einem Zwischenraum, der nicht zufällig auch das essentielle Gestaltungselement dieser Arbeiten darstellt. Das gilt freilich auch für das Objekt aus der Werkgruppe „Between“, das durch seine subtile Bewegung in der Luft, seine Öffnungen und Strukturen – wiederum in Abhängigkeit von der jeweiligen Umgebung – immer wieder neue ephemere Bildeindrücke erzeugt.
Ein weiterer Aspekt, der mir in Bezug auf beide Künstlerinnen wichtig erscheint, ist die im theoretischen Diskurs vielfach angesprochene Performanz des Bildlichen. Zentraler Gedanke dabei ist der sogenannte „Blickakt“, der von der Annahme ausgeht, dass Bilder nicht einfach nur durch ihre Schöpfer als „Bilddinge“ hervorgebracht werden, sondern vor allem im Auge des Betrachters immer wieder entstehen müssen. Das heißt, dass wir Kunstwerke nicht nur rein physiologisch wahrnehmen, sondern dass wir sie anblicken, was zum einen einer Ermächtigung gleichkommt, zum anderen aber mehr mit Fühlen als mit Denken zu tun hat. Gleichzeitig macht uns dieses Anblicken bewusst, dass jedes Kunstwerk jenseits des Sichtbaren etwas verbirgt, etwas, das sich dem Blick und gemeinhin auch einer angemessenen sprachlichen Beschreibung entzieht.
Da das Sehen jedoch auch eine taktile Dimension beinhaltet, können wir das, was wir nicht sehen, allenfalls spüren. Kunstwerke stellen aufgrund ihrer Körperlichkeit gewissermaßen auch eine taktile Beziehung zum Betrachter her, und zwar vornehmlich über ihre materielle Oberflächenbeschaffenheit. Im Fachjargon gibt es hierfür den Begriff der Textur, der das Material des Kunstwerks und die Art der Bearbeitung beschreibt. Im Unterschied dazu versteht man unter Faktur den sinnlich wahrnehmbaren Niederschlag des Werkprozesses, also die Spuren des künstlerischen Tuns.
Das führt uns direkt zu den Arbeiten von Andrea Behn, deren Besonderheit zunächst einmal in der Betitelung oder vielmehr Nicht-Betitelung besteht, die sich nämlich allein auf die Angabe der Materialien, der Größe und des Entstehungsjahres beschränkt. Dies ist zum einen als Indiz für die Selbstreferenzialität ihrer Bilder zu werten, die mit Worten eben schwer zu fassen sind, und betont zum anderen deren materielle Komponente, die für die konzeptuelle Herangehensweise der Künstlerin von entscheidender Bedeutung ist.
Man muss nämlich wissen, dass Andrea Behn ausschließlich auf Papier arbeitet, und zwar normalerweise im großen Format. Genauer gesagt, bedeckt sie das Papier in einem aufwendigen, experimentell erprobten Prozess mit unzähligen Schichten von Farbe, die sie immer wieder abklebt oder abklatscht. Dem Zufall und der angewandten Technik geschuldet, ergeben sich daraus höchst unterschiedliche Bildstrukturen und eigenwillige Farbeffekte, die auf den ersten Blick die Anmutung gestischer Malerei oder grafischen Gekritzels haben.
Die fertigen Papierarbeiten werden im letzten Arbeitsschritt auf Leinwand oder – im Fall der hier gezeigten Werke – auf MDF-Platten kaschiert, sodass sie aufgrund der so gewonnenen Körperlichkeit letztlich wie klassische Tafelbilder wirken. Und doch ist alles ganz anders als es scheint. Denn die vermeintlich spontanen Strukturen resultieren eben nicht aus einem impulsiven Schaffensakt, sondern vielmehr aus einem wohl überlegten Prozess, der darauf abzielt, jegliche Gestik tunlichst auszuschalten. Dementsprechend ist auch die Glätte des Papiers, das im Gegensatz zur Leinwand keinerlei vorgegebene Strukturen aufweist, der Grund, warum Andrea Behn es als Bildträger bevorzugt. Durch die bewusst herbeigeführte Verschleierung der Textur und Faktur gelingt es der Künstlerin, unsere taktile Wahrnehmung in die Irre zu leiten, was zugleich den besonderen Reiz ihrer Werke ausmacht. Obendrein bewahrheitet sich wieder einmal: Trau deinen Augen nicht!
Alexandra Schantl (Abteilung Kunst und Kultur, Land Niederösterreich)
Andrea Behn
Bilder ohne Worte
Auf die Frage, warum ihre abstrakten Bilder denn Titel hätten, erwiderte die Malerin Pia Fries einmal: Damit man sich am Telefon darüber unterhalten kann. Demnach könnte es schwierig werden, sich am Telefon über ein bestimmtes Gemälde Andrea Behns unterhalten zu wollen. Ihre Bilder haben keine Titel, keine Namen und die Bildlegenden beschränken sich auf die Nennung des Farb- und Trägermaterials, der Maße und des Entstehungsjahres. Sie tragen Bezeichnungen wie “Acryl/Papier auf Gewebe kaschiert, 40 x 45 cm, 2014”, oder “Skizzen, Acryl auf Papier, 200 x 150 cm, 2016” und so weiter. Beschreibende, geschweige interpretierende Titel fehlen also gänzlich und auch eine einfache Benennung, die das Bild eindeutig identifizieren lassen würde, wird nicht geboten.
Mag in diesem vielleicht eher belanglosen Detail zunächst eine Art Verweigerung der Künstlerin vermutet werden, quasi ein Nein zur Selbstkommentierung, indiziert es bei genauerem Hinschauen doch schon einen wesentlichen Hinweis auf das künstlerische Programm Andrea Behns: den starken, präzis formulierten Zug zur Reduktion. Ein Bild ist ein Bild und alleiniger Repräsentant seiner selbst, dem mit Worten nicht beizukommen ist, das durch Worte nicht erfasst werden kann, namenlos, unverwechselbar ausschließlich durch seine Bildgestalt.
Die angesprochenen, in den Bildlegenden enthaltenen Hinweise auf Maße und Material hingegen sind nicht verzichtbare Zutat, sondern unerlässlich, damit diese im Zusammenwirken mit den Fotografien über den faktischen Sachverhalt der Originale Aufschluss geben und so – selbst in Gestalt der Konserve Katalog – etwas von der realen Präsenz der Bilder vermitteln können, wozu die Abbildungspotenz der Fotografie allein nicht ausreicht. Das gilt in besonderem Maß für die Reprofotografie; die Raumfotografie kann über den Kontext des mitfotografierten Raumes zusätzliche Informationen (Größenverhältnisse, Lichteinfall, Materialität der Malfarbe bei Streiflicht) zur gelingenden Vergegenwärtigung des Originals bereitstellen.
Nähert man sich solcherweise der Malerei Andrea Behns, tut man das gewissermaßen von hintenrum, durch die Hintertür. Das liegt bei einem Katalog nahe und ist bedingt durch die Tatsache, dass es nicht das originale, gemalte Bild ist, sondern dessen auf verzwickte Weise hergestellte (verwässerte) Abbild, mit dem man es im Katalog zu tun hat. Durch die Mühle der virtuellen, digitalen Bildherstellung gegangen und durch das analoge Druckverfahren wieder materialisiert – mit so ganz anderen Farben als denen der Künstlerin – und dazu noch im stark verkleinerten Maßstab “reproduziert”, sehen wir uns einem Derivat des Originals gegenüber. Das reklamiert nun seinerseits Bildanspruch für sich, kann aber doch nur Erinnerung an oder Hinweis auf sein Vorbild sein. Die Anschauungsarbeit in einem Katalog ist deshalb notwendigerweise eine andere als vor dem Original im Atelier, in einer Ausstellung. Sie braucht den Text im Gegensatz zur oft geübten Praxis beim Museumsbesuch, wo zuerst die Textangaben unten rechts studiert werden mit dem anschließenden, kurzen Blick aufs Gemälde. Man weiß ja schon Bescheid. Die unverstellte, direkte ästhetische Begegnung kommt dann deutlich zu kurz. Doch – in dieser Weise bei Reproduktionen in einem Katalog zu verfahren – daran führt wohl kein Weg vorbei.
Auch der Titel des Katalogs selbst: “Arbeiten auf Papier” – eigentlich ein Allerweltstitel, könnte man meinen – zeichnet sich dadurch aus, dass er knapp, vor allem aber notwendig ist. Denn dass die Arbeiten auf Papier sind, das lässt sich durch Anschauen allein nicht feststellen, weder am Foto noch am Original. Unzählige Farbschichten bedecken das Trägermaterial Papier bis zum Rand, verbergen es unter der sichtbaren Oberfläche der Malerei. Diese mannigfachen Schichtungen zwischen Oberfläche und Grund in den Fokus des Betrachters zu rücken, kann in Ansicht der Reproduktion deshalb allein durch die Nennung “auf Papier” gelingen.
Die Gemälde Andrea Behns strahlen Ruhe aus, laden ein zum verweilenden Schauen. Es sind die großzügigen Flächen, die fein abgestuften Valeurs, die in Richtung Grau getrübte, teils gebrochene Farbigkeit, die diesen Eindruck erwecken. Wie Kontrapunkte hingegen die mit weit greifender Geste gesetzten, breit ausgewalzten Handlungsspuren. Diese freien Figurationen leiten sich her von schnellen, spontanen Kritzeleien im Skizzenbuch. Gekrakelte Kringel, die mittig monumental mit druckvollem Duktus ihren Platz besetzen, nach innen hin verdichtet zu opaker Fläche und nach außen agressiv spitzig, raumfordernd (S. 15, 23). Hier war ich, hier bin ich. Wie eine sperrige Kalligraphie, gegen den Widerstand des Materials (Stift, Graphit, Zeichenkohle) formuliert. Einen gänzlich anderen Typus mit dezentraler Bildstruktur zeigen beispielsweise die Bilder auf den Seiten 54 und 62. Etliche geschwungene U-Bögen reihen sich in rhythmischer Wiederholung bis an die Ränder der Bildfläche, ohne die Dominanz eines Zentrums, in steter Bewegung, über die Grenzen des Bildgevierts hinaus weisend.
Dynamisch bewegte Figuration und der Eindruck großer Weite und Ruhe – das klingt zunächst paradox, doch widerstreitende Beziehungen gehören zu den bestimmenden Faktoren im Werk der Andrea Behn. Die Wandlung nimmt ihren Anfang, wenn die Künstlerin das zeichnerisch dynamische Gekrakel in einem vielstufigen Prozess mit Hilfe eines Overheadprojektors vergrößert und auf dem Bildformat platziert. Wie soll sich die monumental vergrößerte Handbewegung zur Mitte, zum Rand verhalten? Wie werden durch deren Positionierung welche Leerstellen artikuliert? Die spontane Geste wandelt sich zu komponierender, bauender Haltung, die Regeln fordert und das behauptend Gesetzte überführt in die Gültigkeit eines strukturierten Immer-schon-Da. Die dynamisch okkupierende Geste erfährt eine Metamorphose zu groß-ruhiger Gestalt.
Andrea Behn malt mit handelsüblicher Acrylfarbe, die sie stark mit Wasser verdünnt. Mit Pinseln und anderen Werkzeugen trägt sie die solchermaßen – um zu einem Terminus der Homöopathie zu greifen – potenzierte Malfarbe in schier unzähligen Schichten auf. Dieses Aufschichten ist kein bloß handwerklicher Vorgang. In ihm vergewissert sich die Künstlerin mit bedenkendem Blick der gesetzten, noch vorläufigen Form, nicht unähnlich einem Bildhauer, der seine geschnitzte Skulptur im Nachhinein farbig fasst. Weil es um Malerei geht, kann sie dabei aber auch noch die Bildfigur reversibel halten, sie durch Vergrößern – Verkleinern, Wegnehmen – Hinzufügen, Verschieben, kontrastierendes Verstärken oder Abschwächen, und so weiter und je nachdem – modifizieren.
Malerische Wirkung, peinture ist bei Andrea Behn immer Ergebnis einer konzeptionellen Handlungsweise, sie ist die Konsequenz aus der Formulierung des Bildes beim Malen. Hier wird nicht auf die schöne Oberfläche spekuliert, nein, diese ist immer Resultat eines körperlich agierenden Denkens. Der dünne Farbschleier der Gemälde hüllt seine Schönheit in prosaische Mattwirkung, die bedingt ist durch die Magerung der Kunstharze (Bindemittel der Farbpigmente) mit Wasser. Malerei nicht als funkelndes Zauberkunststückchen, sondern als nüchternes Zeugnis der Phasen des künstlerischen Prozesses.
Neben den durchscheinenden bis deckenden Farbschichten lenkt auch die inhomogene, aufgebrochene Bildfläche den Blick auf die Schritte der Bildgenese. Diese Rissigkeit der Oberfläche, die zuweilen an ein Palimpsest erinnert, rührt her von den oft indirekten Verfahren des Farbauftrags. Abklatsch, Decalcomanie oder auch schablonenartiges Applizieren der Malfarbe in der Weise, dass die Künstlerin die direkt auf die Fläche gemalte Umrissfigur mit Tape überklebt, um anschließend die gesamte Bildfläche mit Farbe zu belegen. Darin liegt der Grund für die präzis scharfe Konturierung der Flächenfigur. In der Tendenz schwindet der Ich-Bezug der spontanen Geste zugunsten objektivierender Distanz, der Form. Das Eigene wird fremd, zum Gegenstand. Ein Vorgang der Re-formation, der Re-duktion. Was ist notwendig, was bleibt?
Die Bilder Andrea Behns im Original anzuschauen, fasziniert und ist in jedem Fall unumgänglich. Einerseits sind die Gemälde eindeutig wie ein Signal, wie eine abschließend gültige Form, die sich dem Gedächtnis gut einprägt. Ein etwaiger, erwarteter Inhalt aber bleibt verborgen – oder: Es gibt ihn überhaupt nicht. Das ist weiter nicht von Belang – es geht um abstrakte Zeichen – ja, paradox! – und Paradoxien sind dem Werk Andrea Behns überhaupt zu eigen. Geht man näher an die Bilder heran, so wird ihre Bedingtheit durch gestalterische Vorgänge in zeitlichen Sequenzen offenbar. Der komplexe, spannende, auch riskante Vorgang des Bildgestaltens zeigt sich trotz der in Ansätzen zu bemerkenden Widerstände und Zweifel als in letzter Konsequenz logische Folge. Vom Gemachten zum Eindruck eines Gewordenen. Als hätte das Bild nie anders gemalt werden können.
Die zarte, durchscheinende Farbhaut passt zur zurückgenommenen Materialität ihres Trägermaterials Papier. Der Eindruck, das Bild würde nur aus den Farbschichten selbst bestehen, verdankt sich dem Papier, ähnlich ephemer wie die beinah immaterielle Farbwirkung. Dieses Sich-selbst-Zeigen der Farbe würde durch die Verwendung einer Leinwand als Bildgrund konterkariert werden. Die erhabene Gewebetextur mit ihrer Materialschwere rückte dann in den Vordergrund und die Leichtigkeit der physikalischen Farberscheinung ginge verloren. Leinwand setzt die Malerin demzufolge immer erst ein, nachdem die Malerei auf Papier abgeschlossen ist. Das fertige Papierbild wird auf eine auf die Wand gespannte Leinwand kaschiert und nach dem Trocknen auf Keilrahmen aufgespannt. Die Leinwand und der Keilrahmen sind dabei dezidiert nicht gemeintes Bildobjekt, sondern nur notwendiges, optisch weitgehend unauffälliges Stützkorsett.
Das nachträgliche Kaschieren eines gelungenen Bildes birgt Risiken und sollte eigentlich in die Hand eines erfahrenen Restaurators gehören. Hier ist es aber die Künstlerin selbst, die diesen Drahtseilakt vollzieht, der alles ruinieren kann. Durch den Kontakt mit dem wässrigen Buchbinderleim verändert sich das Material, es dehnt sich, an anderer Stelle weitet es sich, Blasen entstehen. Kaum hinzusehen wagt man, wenn man bei dieser Prozedur dabei sein darf. Wird jetzt alles aufs Spiel gesetzt durch einen nachrangigen, handwerklichen Vorgang? Doch die Künstlerin ist erfahren, hat die Testphase schon lange hinter sich. Und so kann es gelingen, dass selbst diese Tätigkeit in ihrer Intensität dem Malen nahekommt, es nachklingen lässt. Ein Malen ohne Farbe, das mit streichenden, mal druckvollen Bewegungen das Bild-Papier auf die Leinwand fixiert. Malen auf einer Metaebene. Ein prüfendes Anschauen mit den Händen.
Der nach diesen Überlegungen nun nicht mehr unvoreingenommene Betrachter aber sollte nun dringend innerlich den Reset auslösen und, allein seinen nichtwissenden Augen trauend, die Bilder ohne Worte im Original anschauen.
DER ZWEITE BLICK
Ausstellung im BauKunstArchiv NRW, Ostwall 7, 44135 Dortmund
23. Oktober bis 16. November 2016
Andrea Behn, Antje Hassinger, Sybille Hassinger, Danuta Karsten, Jan Kolata, Apostolos Palavrakis, Susanne Stähli
Das Gebäude des ehemaligen Museum am Ostwall in Dortmund befindet sich – kurz vor Umwidmung und Umbau zum BauKunstArchiv NRW – im Wartestand. Die vielen verschiedenen Zwischennutzungen, Demontagen und Entnahmen von Baubestandsproben seit dem Auszug des Museums Ende 2009 haben deutliche Spuren im Gebäude hinterlassen, die solchermaßen zwar vom Verlust der alten Bestimmung künden, zugleich aber auch den Kern der Architektur wieder deutlicher hervortreten lassen und für die Zukunft öffnen. Zwischen Baustelle und Umformung bietet sich der Zustand des Gebäudes gleichsam an für den künstlerischen Prozess von Idee, Formung, Verwerfung und Neubeginn. Künstlerinnen und Künstler begrüßen solche Situtationen, Phasen des Umbruchs als Chance zu Neuem. Die Baustelle als Möglichkeitsraum.
Für die letzte Ausstellung vor dem Umbau haben sich eigens sieben Künstlerinnen und Künstler mit überregionaler Ausstellungstätigkeit zusammengefunden. Mit der Ausstellung DER ZWEITE BLICK erweisen die sieben Künstlerinnen und Künstler dem alten Museum am Ostwall, dem sie sich durch frühere Ausstellungen und verschiedene Aktivitäten verbunden fühlen, mit neuen, eigens für die besondere Situation entstandenen Werken noch einmal ihre Referenz.
Andrea Behns Bilder eröffnen sich nicht dem hektischen Blick einer schnelllebigen Zeit, sie fordern und geben Ruhe. Die von der Künstlerin modifizierte Acrylfarbe, die in einem lange andauernden Prozess, der bis zu hundert Farbschichten erfordern kann, übereinander aufgetragen wird, bildet schließlich einen eigenen Farbkörper, der das zugrundeliegende Papier in Gänze überdeckt und so seine Autonomie begründet. Eine Vielfalt von Texturen und Fakturen, Tonwerten und Farbtönen lassen die Bildwirkung zwischen Farbkörper und Farbraum oszillieren. Mit malerischen Methoden wird Raum nicht abgebildet, sondern erzeugt.
Die Malereien von Andrea Behn sind Arbeiten auf Papier, die in einem – vordergründig betrachtet – nur handwerklichen Akt auf eine Leinwand aufgezogen werden. Dass nicht direkt auf die Leinwand gearbeitet wird, ermöglicht einen für diese Bildformate ungewöhnlichen Umgang mit der Farbe, deren Auftrag in bis zu 100 einander überlagernden Schichten von keinerlei Textur des Bildgrundes beeinflusst ist. Die Acrylfarben sind in unterschiedlichen feinen Lasuren aufgetragen, die einander in gleicher Weise verdecken wie sichtbar machen und akzentuieren, endlich oszillieren zwischen Setzungen und Zurücknahme: Eine Vielzahl von Strukturen und Farben im Wechselspiel mit dem Licht. Dabei entsteht dieses All Over auf der Bildfläche nicht allein durch den Auftrag von Farbe mit dem Pinsel. Eine Vielzahl von Malmitteln wird eingesetzt, um Farben aufzubringen, und eine ebensolche Vielzahl von Mitteln wird verwendet, um Farben wieder zu entfernen: Eine Art Selbstvergewisserung, Quasi eine Farb-Archäologie, die die tieferen Schichten wieder sichtbar oder doch erahnbar macht, nicht als konturierte Form, aber doch als existent. Und so erhalten zufällige und beabsichtigte Spuren des Malprozesses die gleiche malerische Gültigkeit; das Nicht-Gewollte erweist sich doch als beabsichtigt und wird mit dem Gewollten in den gleichen Rang gesetzt.
Es wird ebenso viel gesagt wie verborgen und die „archäologische“ Lust wird im Betrachter geweckt, nicht irgendeinen, sondern den Zwischenton zu entdecken, der das gesamte Bild in Schwingungen versetzt.
Andrea Behn
Malerei
Untersucht man die künstlerischen Werke der Malerin Andrea Behn stößt man zunächst in der Anschauung der Bilder auf eine Irritation, die sich aus der Materialität und der Farbwirkung der Arbeiten ergibt. Ihre farbstrukturellen Gemälde, die mit reduzierten grafischen und malerischen Elementen die meist gemäßigt rechteckigen Flächen konfigurieren, entwickeln sich zwar aus dem Duktus von Malerei, Material und Oberflächenstruktur, zeigen aber keine bekannten leinwandbildtechnischen Oberflächen. Die Strukturen der Bilder sind in diesem Kontext nahezu malerisch konkret, da hier das Pigment und der Duktus auf der Fläche des Gemalten verselbständigt sind und sich keine weitere Strukturen, die uns im Kontext von Gemälden vertraut sind, entdecken lassen. Leinwandbilder meinen wir zunächst zu erkennen ohne der für uns vertrauten Elemente von Leinwandgemälden habhaft werden zu können, denn die Oberflächen der Bilder sind dicht und auf besondere Art und Weise in sich verschlossen.
Die Auflösung dieses scheinbaren Widerspruchs ergibt sich aus der malerischen Technik, die die Künstlerin seit vielen Jahren anwendet. Sie malt ihre Gemälde nicht auf Leinwand sondern mit Acrylfarbe auf Papier und kaschiert dann die gewonnenen Farbkörper, die aus vielen Übermalungen und unterschiedlichen Schichten gebildet sind im zweiten Schritt auf Nessel, um sie dann auf Keilrah-men zu spannen, was dem Bild einen konkreten und messbaren Körper gibt. Die Wahrnehmung einer Oberfläche, die geschlossen und einheitlich dem Betrachter gegenüber tritt, die sich nicht mit dem Untergrund verbindet sondern wie eine Haut selbständig darüber sitzt, macht einen besonderen Reiz der Gemälde aus und lässt den Blick des Betrachters immer wieder auf der Suche nach dem Körper des Bildes in die Schichtungen eindringen. Hierin begegnet er einem ganz wichtigen künstlerischen Ansatzpunkt, den die Malerin verfolgt und der mit der Auseinandersetzung von Farbe und Raumqualität verknüpft ist.
Der Farbkörper, den die Arbeiten von Andrea Behn denn auch durchaus vermitteln, setzt sich in der Tat aus der Aktualität zusammen zwischen dem konkreten auf Keilrahmen gezogenen Leinwandkörper und dem Bildraumkörper, der sich allein aus der Materialität der Farbigkeiten und der im Duktus geführten Struktur der Oberflächen entwickelt. Die Künstlerin setzt ihre Farben in vielen Schichten übereinander, von der Buntheit zu einer immer stärkeren Monochromität, die allerdings nie absolut gesetzt ist sondern die sich immer in einer tonigen Qualität aus den unterschiedlichen Farbigkeiten in einem Farbklang entwickeln. Diesen kombiniert Andrea Behn in der weiteren Verdichtung der Malerei mit Strukturen, manchmal auch deutlichen Zeichensetzungen, die sie auf den Malgrund platziert und der diesen als Farbraumkörper verstärkt und in der Reflexion der Wahrnehmung überhaupt erst erfahrbar macht. Die Zeichensetzungen oder Strukturgebungen, die Andrea Behn dabei nutzt, sind unterschiedlicher Art. Von chiffreartigen Pinselstrichspuren über Formen, die fast Gegenständliches reminiszieren lassen wie ein Kleid oder Ringe, die an Wolken oder andere schwebende Körper erinnern bis hin zu Texturen übersteigerter Pinselstruktur, die in einem Stakkato von dicht gesetzten Elementen die Oberfläche überziehen und einen Grad von Fluss und Bewegung über den Farbraumkörper hinaus imaginieren.
Die malerischen Konkretionen der Künstlerin Andrea Behn sind in ihrer Struktur zwar auf eine ganz bestimmte Art und Weise erstellt, gewinnen aber in ihrer jeweils einmaligen Umsetzung einen Grad von Individualität, die die Werke jeweils unverwechselbar und eindeutig machen. Dies ist wichtig im Kontext einer künstlerischen Vorgehensweise die an serielles gemahnen mag, es aber in der Visualisierung nicht in Reihen und Serien umsetzt, sondern in jeweils einzelne solitäre Elemente. Die jeweilige Tonalität und Farbigkeit der Arbeit in Kombination mit den sehr unterschiedlichen zeichnerischen und malerischen Strukturen zeigen eine Vielfalt und Individualität der einzelnen Arbeiten, die sich immer wieder auf den Malprozess selbst zurück beziehen lassen und verdeutlichen, dass Andrea Behn jedes einzelne ihrer Werke aus dem Prozess der Umsetzung heraus neu thematisiert und entwickelt.
Die Qualität der gestalterischen Arbeit mit Acrylfarben auf Papier ist bei Andrea Behn eher der Technik alter Meister angenähert, die mit ihren Farben direkt auf die Wand gemalt haben und so Wandmalereien haben entstehen lassen. Die enge Verknüpfung von Untergrund und Farbe ist in der alten Wandmalerei ist der Verbindung von Acrylfarben auf Papier ähnlich, da die Farbe unmittelbar auf dem Trägergrund aufsitzt, ohne dass sich beide gegenseitig durchdringen. Diese technisch andere Grundbedingung zeichnet die malerische Intention der Arbeiten von Andrea Behn aus und unterscheidet das Werk deutlich von Malerei auf Leinwand, in der die Farbe, sei es Acryl oder auch Öl, in den Untergrundstoff gleichsam eindringt und eine sehr enge und stoffliche Verbindung hervorruft. Im Unterschied hierzu belässt Andrea Behn der Farbigkeit ihrer Malereien den manchmal spröden und trockenen Charakter von farbiger Oberfläche, die an das mineralische und stoffliche der Farbpigmente erinnert und nicht versucht, diese in eine andere organischere Qualität zu überführen.
Die Oberflächen der Acrylbilder besitzen eine hohe haptische Qualität, da die Stofflichkeit der Farbe durch ihren trockenen und offenen Charakter, gleichsam wie im Prozess einer Entstehung begriffen scheint. Es bildet sich keine schützende Haut, wie man es oftmals bei Ölmalereien erlebt, die das Bild vor den Blicken oder auch den „Zugriffen“ der Betrachter schützt, sondern die Oberfläche ist taktil, offen, verletzlich und erweitert sich von daher auch farblich in den angrenzenden Raum. Diese Verletzlichkeit in der Oberfläche scheint besonders sinnfällig bei den Arbeiten, die mit jenen beschriebenen Lineaturschraffuren ar-beitet, die gleichsam wie eine malerische Verletzung die Oberfläche aufreißen und sie für die Betrachtung öffnen.
Diese besondere Qualität von Malerei in ihrer Offenheit und Raumbezogenheit ist zwangsläufig für die Künstlerin nur immaterial auf Papier zu erreichen, da hier zwischen Farbe und Grund keine Durchdringung erreicht wird, sondern die Farbe in ihrer spezifischen Stofflichkeit ihre Eigenständigkeit und Identität behält. Der Malprozess, bei dem die Farbe auf den Untergrund aufgerieben und in vielen Schichten kraftvoll aufgetragen wird, hätte kein Analog bei der Malerei auf Leinwand, die in einem anderen, mehr organischen Verhältnis im malerischen Prozess die Farbe aufnimmt und wie ein eigener Körper wiedergibt. Das nachtägliche Aufkaschieren entspricht so dem Verschmelzen des Bildes mit dem Raum und der gestalterischen Intention, dem Bild und damit dem Farbkanon einen „Klangkörper“ zu geben, auf dem und mit dem die Farben im Raum zur Schwingung gelangen.
Dr. Gabriele Uelsberg
Direktorin
LVR-LandesMuseum Bonn
Meine Damen und Herren,
ich darf Ihnen zunächst meine Freude darüber ausdrücken, dass Sie so zahlreich zur Eröffnung dieser Ausstellung mit Malereien von Andrea Behn hierher gekommen sind. Ich hoffe, dass Sie das am Ende nicht bereuen werden, wenn ich Ihnen sage, was Sie auch hätten ansehen können, – möglicherweise verpassen Sie ja auch einiges.
Also:
Freitag, 13. Januar 2006, 20.15 Uhr
ARD – TV-Heimatfilm „Im Tal des Schweigens“
ZDF – zwei Folgen der Krimi-Serien „Ein Fall für zwei“ und „Der letzte Zeuge“
BR – Alpenmelodie
RTL – Wer wird Millionär?
Sat 1 – Die Comedy Arena
Pro 7 – US-Thriller „Instinct“ usw.
Hätten Sie sich heute Abend für eine dieser oder der vielen andern Alternativen entschieden, hätte der Unterschied beim Anschauen von Bildern nicht allein darin bestanden, was Sie sehen, sondern vor allem, wie Sie sehen.
Karl Heinrich Waggerl schreibt in einer seiner Weihnachtsgeschichten: „Hinter der Krippe standen Ochs und Esel und beglotzen das Wunder.“ Natürlich sehen die beiden Tiere dasselbe wie z.B. die später eintreffenden Könige, aber sie verstehen nicht, was sich da ereignet hat. Nicht von ungefähr hat das Fernsehen ja auch lange den volkstümlichen Namen „Glotze“ gehabt, was den Anspruch des Fernsehens an die Wahrnehmung vielleicht unfreiwillig deutlich beschreibt. Diese Art von Sehen hat der Kunsthistoriker Max Imdahl einmal als „sehendes Sehen“ bezeichnet, bei dem man nur das aufnehmen muss, was als fertiges Paket ins Haus geliefert wird, und er hat es in Gegensatz gestellt zum „verstehenden Sehen“. Und da sind wir bei den Bildern von Andrea Behn.
Die Malereien von Andrea Behn sind in aller Regel Arbeiten auf Papier. Malt die Künstlerin einmal direkt auf die Leinwand, wird diese zunächst mechanisch, zur Not mit dem Schwingschleifer so bearbeitet, dass die eigene Textur und alle Spuren des Gewebes verloren gehen und die Leinwand glatt wird wie Papier, glatt und weiß. So wird der erste Farbauftrag auf die Bildfläche von nichts gestört oder unterschwellig beeinflusst. Bei jedem neuen Bild geht die Künstlerin zunächst auf die Suche nach dem Null Punkt oder sie er-findet sich diesen für jedes Bild neu. Die einzige Beeinflussung des beginnenden Malprozesses bleibt die Tatsache, dass die Fläche begrenzt ist. Und wir werden noch sehen, wie die Künstlerin damit umgeht.
Der malerische Prozess beginnt mit dem Auftrag von Farben und Lasuren, und wir sehen es den Bildern nicht sogleich an, dass nicht nur ein oder zwei solche Schichten aufgetragen sind, tatsächlich sind es eher 50 oder 60 Schichten, die hier übereinander lagern und mit ihren Rhythmen und Gegenrhythmen eine diffuse Farbräumlichkeit, eine Art Farbnebel erzeugen. In diesem Prozess einer quasi „umgekehrten Archäologie“, in der die z.T. hauchdünnen Schichten nicht ab- sondern aufgetragen werden, wird ein weiteres Element dieser Bilder angesprochen, das Element “Zeit“. In manchen Bildern reißt die Künstlerin in einer spontanen Geste die letzen Farbschichten auch wieder auf und legt beinahe brutal Zustände der Vergangenheit wieder frei. Und dann wirken die so entstandenen Bänder und gebogenen Linien, die sich durch die Bildfläche ziehen, doch auch irgendwie ungelenk, mehr kalkuliert, als sie zugeben möchten. Und nicht selten sind die Spuren oder Verletzungen dann auch wieder überkritzelt oder übermalt, wie eine Entschuldigung für den neugierigen, für die Selbst-Vergewisserung aber doch unerlässlichen Blick zurück.
So verdeutlichen und dokumentieren diese Bilder selbst ihre beständige eigene Metamorphose, die sie wie einen lebendigen Prozess durchlaufen, bis sich ein Abschluss ergibt, so wie die Raupe sich verpuppt und als fertiger Schmetterling ihren Kokon verlässt.
Das verdeutlicht aber auch eine andere Bildkonzeption, bei welcher in einer der letzten Farbschichten größere Formen aufgetragen werden, die sich scheinbar ohne System auf der Bildfläche verteilen. Diese Formen sind sämtliche keine klar definierten Formen, alle sind offen und unabgeschlossen.
Wie die Linien, die durch das Aufreißen der Bildfläche entstehen, erzeugen aber auch diese Farbflecken (oder offenen Farbformen) eine konkrete Räumlichkeit in den Bildern, die sich sogar weitgehend zwischen zwei Ebenen definieren lässt. Da aber auf unser Seh-Verlangen nach einem illusionistischen Tiefenraum nicht eingegangen wird, befindet sich alles nur in einem optischen Raum, was hier auf den Bildflächen schwebt oder sich bewegt.
Besonders in diesen letztgenannten Arbeiten von Andrea Behn wird deutlich, dass ihre Malerei auch den Bildrand konsequent ignoriert. Ausgerechnet die Flecken-Formen, aber auch die eher gestischen Linien und Kurven, die nach alter Sehgewohnheit im Grunde das Motiv auf dem Bild ersetzen, wandern und wachsen über den Bildrand hinaus, machen die Bildfläche quasi zu einem Bildschirm, auf dem sich nur ein Ausschnitt aus einer viel größeren Bildwirklichkeit abbildet.
Möglicherweise fällt uns auch erst bei dieser Feststellung auf, dass die Bilder, selbst wenn wir einmal die Linien oder offenen Flächen als „Motive“ bezeichnen wollen, dem Auge keinen Ruhepunkt bieten. Oder besser gesagt: Der Ruhepunkt für das Auge liegt dort, wo ich als Betrachter ihn festlege, was natürlich immer nur für wenige Augenblicke gelingt, im nächsten Augenblick wird das Bild ein anderes sein.
Bewusst wird uns, dass nicht nur die Bildentstehung als Prozess, also in der Zeit verläuft, sondern wie nebenbei thematisieren die Bilder auch den Prozess der Bild-Wahrnehmung. Hier sei noch einmal der Unterschied zu dem verdeutlicht, was Sie heute Abend in den Alternativprogrammen versäumen: Hier bekommen Sie nicht das Instant-Produkt. Was Sie sehen, hängt davon ab, wie Sie sehen; Ihr Bild entsteht erst im Prozess Ihrer Wahrnehmung.
Sind Sie aber in die vielfältigen Aktivitäten, die Ihnen das Bild anbietet, eingetreten und beteiligen Sie sich am quasi archäologischen Prozess, dann mögen Ihnen manche Bilder erscheinen wie die Nach-Bilder von einer erlebten Wirklichkeit – so wie nach einem Traum nur ein Gefühl übrig bleibt, nicht die Erinnerung an wirklich erlebte Handlungen und reale Orte.
Das, was die Bilder von Andrea Behn im Sinne von Paul Klee „sichtbar machen“, ist nichts außerhalb ihrer selbst, sondern das, was erst durch sie ins Sein gerufen wird. Und da die Bilder bei jedem Blick, den wir auf sie werfen, neu entstehen, kann man sie immer wieder ansehen, wie man auch gute Musik immer wieder hören kann und man schätzt sie nach jedem Hören neu und mehr.
Wie aber große Musiker immer genügend Souveränität besaßen und besitzen, die großen gültigen Kompositionen mit musikalischer Leichtigkeit und Humor zu kommentieren, so finden sich auch in dieser Ausstellung zwei kleine Arbeiten, die wir als ein Augenzwinkern der Künstlerin verstehen dürfen: Sie isoliert gewissermaßen aus den größeren Arbeiten eine Farb-Form, gelb und weiß-rot, an die sie einfach jeweils zwei kleine gebogene Linien ansetzt. Und da ist dann die konkrete Erinnerung doch erlaubt, das ist das Kleid, das wir aus Kindertagen kennen, die Erinnerungs-Archäologie bringt es wieder an den Tag, es fliegt auf vor blauem Himmel, schwebt im Wind…
So dicht liegen hier Abstraktion und Gegenständlichkeit vielfach beieinander, so auf des Messers Schneide bewegt sich die Kunst von Andrea Behn, die letztlich aus ihren Widersprüchen lebt,
aus der Gleichzeitigkeit
– vom Augenblick des „Jetzt“ meiner eigenen Wahrnehmung und der „archäologischer Perspektive“
– von Spontaneität und Kalkül
– meditativer Ruhe und gestischer Bewegung
– informeller Fläche und Gegenstandsassoziation
Die Malerei von Andrea Behn lebt aus der Gleichzeitigkeit von Ja und Nein, aus der permanenten Herausforderung an die Wahrnehmung des Betrachters und aus der Möglichkeit, die Bilder als Reflexion auch der eignen Erfahrungen zu verstehen. Doch nur dem sehenden Auge werden sich Komplexität, Anmut und Charme gänzlich offenbaren.
Die malerische Technik scheint im Hinblick auf die nicht-abbildende Thematik im Werk von Andrea Behn fast zwingend: Sie bringt in der Regel zeichenhafte Lineamente auf das ausgewählte Papier, das dann erst auf Nesselstoff kaschiert und auf Keilrahmen gespannt wird. Im Zusammenwirken der materiellen, die Gesamt-Wertigkeit erzeugenden Komponenten wird ein großes Gespür offenbar, wie gestaltete Oberflächen unsere Wahrnehmung leiten.
Solche differenzierten “Strukturen” (es kann bisher nicht durch ein schlüssigeres Wort ersetzt werden) bilden sich jenseits der Abstraktion wieder konkret aus, als die angewandten Mittel es dezidiert sind. Die Farbpigmente etwa in ihrer mehligen, die Netzhaut zur absolut reinen Wiedergabe zwingenden Konsistenz; oder der Papiercharakter, dessen tragende Funktion für das Oberflächen-Geflecht zum haptisch geprägten Grundgefühl in der Wahrnehmung entscheidend beiträgt. Zumal, wenn sich herausstellt, dass häufig sehr viele sich überlagernde Schichten erst den gewünschten malerischen Effekt erzeugen.
Eine handwerklich ganz akribische Vorgehensweise also, mit Bedacht und Behutsamkeit jegliche sich abzeichnende Tonalität überprüfend und am Endpunkt auskostend als in den einzelnen Phasen ständig neu überprüfbares und gewachsenes Ergebnis.
Die Farbigkeit, die daraus sich entwickelt, ist durch die Überlagerungen der Malschichten nie eine krasse, den Schock suchende. Vielmehr bilden sich in feinen Abstufungen Nähe und Ferne aus im Zusammenwirken von Grund und den waagerechten, senkrechten oder diagonalen, parallel geführten oder sich verästelnden Linienbahnen.
Die gewählte, unendlich differenzierte Anwendung von Grün, Rot, Blau, Violett oder Orange im Verbund mit weißen “Nebeln” verursacht im altmodisch-romantischen, aber deswegen keineswegs überholten Sinne jeweils “Stimmungen” beim Betrachter, aus denen heraus alle nur denkbaren Assoziationen an die Oberfläche drängen können.
Paradebeispiele für das “offene Kunstwerk” mithin, das dem Rezipienten ungeahnte Ausmaße an individuellen Deutungen belässt: eine Freiheit im optischen Abtasten, die semiotische Entdeckungen ebenso einschließt wie den Beweis des Interaktiven zwischen den Farbwerten, Naturempfinden oder einfach die Entwicklung eines tieferen Gespürs für Raumstrukturen.
Andrea Behn bevorzugt leise Töne – in einem Katalog steht, wie ein Motto eingestreut: LAUTLOS LÄUTEN. Sie sucht sanfte Abstufungen, ruft ferne Assoziationen an Natur, Wasser-, Luft-und Wolkenzug herbei.
Auf den ersten Blick malt Andrea Behn traditionelle Leinwandbilder. Bei näherem Hinsehen fehlt diesen Bildern jede Gewebestruktur. Andrea Behn malt nämlich mit Acryl auf Papier, das sie, in einem zweiten Arbeitsgang, auf Nessel kaschiert. Erst dann wird das Bild auf den Keilrahmen gespannt. Das wäre an sich nicht singulär. Auch andere Maler setzen Öl- oder Acrylfarbe auf die Leinwand. Meist bleiben dann dicke Patzer, weil der Grund die Farbe nicht aufnimmt und sich nicht mit ihr durchdringt: eine Malerei des Fernsichtigen, Rauhen, Pastosen, die oft als eigentlich „malerisch“ gilt. Andrea Behn geht einen anderen Weg. Sie reibt die Farbpigmente, ohne Grundierung, schichtweise auf. Sie reduziert von Lage zu Lage die Buntfarbigkeit. Sie fasst den Farbklang mehr und mehr zusammen – bis letztlich EINE Farbe – Gelb, Grün, Rot, Blau – dominiert. Ältere Schichten bleiben als Untergrund. Der skripturale Auftrag deckt sie nicht völlig zu, sondern lässt sie als Atmosphäre und räumliche Tiefe stehen. So setzt ein solches Bild sich aus bis zu 80, ja 100 Malvorgängen zusammen – ein Reichtum, der gelegentlich an Randzonen aufblitzt.
Das Erstaunliche und Wesentliche dieser Malerei: die vielen Schichten ziehen ihr keinen Panzer an, sondern differenzieren feinste Nuancen aus. Sie versetzen sie in Schwingungen, die ihre subtile Kraft aus der Tiefe ziehen. Diese Oberflächen besitzen ihre eigene, einzigartige, fast immaterielle Materialität, die weder mit Leinwandstrukturen noch mit Pinselspuren behaftet ist. Sie schweben und scheinen zart zu hauchen, ohne sich deshalb, wie im Aquarell, zu verflüssigen. Die Malerin bevorzugt „abstraktere“ Farbklänge und –räume: fluviale Topografien des Strömens und Flutens, blaue Atolle, die vom Rand her ins Bild wachsen, Bänder, die sich wie mineralische Adern durch Gestein ziehen. Doch wir brauchen das nicht assoziativ aufzuladen. Wie müssen nicht einmal ständig die ungewöhnliche Technik und das Malen auf Papier vergegenwärtigen. Diese Bilder hahen einen emphatischen Appell, der umfängt, wenn wir uns öffnen und der trägt, wenn wir uns tragen lassen. Es sind Bilder von reicher koloristischer Klangfülle und lyrischer Kraft.
WANDmalereien auf Papier auf LeinWAND
Die Vermengung der Begriffe Wandmalerei und Leinwandbild ist bewusst in den Titel dieses Textes gesetzt, um auf ein besonderes Axiom hinzuweisen, das für die künstlerischen Gestaltungen von Andrea Behn wichtig ist. Die Künstlerin malt ihre Arbeiten bis auf wenige Ausnahmen mit Acrylfarben auf Papier und kaschiert sie erst im zweiten Gang der Fertigstellung auf Nessel, um sie dann auf Keilrahmen zu spannen. Dieser besondere Arbeitsschritt führt dazu, dass der Betrachter auf den ersten Blick ein vermeintliches Leinwandbild zu sehen meint, um auf einen zweiten und tiefer gehenden Betrachtungsgang hin zu erkennen, dass Struktur und Dichtigkeit der Farbe anders wirken, als es bei einem klassischen Leinwandbild der Fall wäre. Hierin begegnet er einem ganz wichtigen künstlerischen Ansatzpunkt, den die Malerin verfolgt und der mit der Auseinandersetzung von Farbe und Raumqualität verknüpft ist.
Die Qualität der gestalterischen Arbeit mit Acrylfarben auf Papier ist bei Andrea Behn eher der Technik alter Meister angenähert, die mit ihren Farben direkt auf die Wand gemalt haben und so Wandmalereien haben entstehen lassen. Die enge Verknüpfung von Untergrund und Farbe in der alten Wandmalerei ist der Verbindung von Acrylfarben auf Papier ähnlich, da die Farbe unmittelbar auf dem Trägergrund aufsitzt, ohne dass sich beide gegenseitig durchdringen.
Diese technisch andere Grundbedingung zeichnet die malerische Intention der Arbeiten von Andrea Behn aus und unterscheidet das Werk deutlich von Malerei auf Leinwand, in der Farbe, sei es Acryl oder auch Öl, in den Untergrundstoff gleichsam eindringt und eine sehr enge und stoffliche Verbindung hervorruft. Im Unterschied hierzu belässt Andrea Behn der Farbigkeit ihrer Malereien den manchmal spröden und trockenen Charakter von farbiger Oberfläche, die an das Mineralische und Stoffliche der Farbpigmente erinnert und nicht versucht, diese in eine andere organischere Qualität zu überführen. Der künstlerische Schritt, den Andrea Behn vollzieht, indem sie die auf Papier erstellte Arbeit auf Leinwand – respektive Nessel – kaschiert und auf einen Keilrahmen zieht, verleiht dem so entstandenen Bild im zweiten Schritt einen Raumkörper, der das Werk zum einen von der Wand isoliert und ihn zum zweiten einem eigenen, fast möchte man sagen architektonischen, Raum zuordnet.
Die Arbeiten, die so entstehen, tragen sowohl den Charakter der Wandgestaltung wie auch den Tafelbildcharakter gleichzeitig in sich und arbeiten mit dem Spannungsmoment, der sich aus dem scheinbaren Widerspruch dieser beiden Axiome entwickelt. Diese Wirkung wird in den Arbeiten von Andrea Behn noch dadurch verstärkt, dass sich Strukturen und Stofflichkeiten in den Oberflächen wiederfinden, die sich aus den wiederholten und immer neu gesetzten Schichtungen ergeben, mit denen die Künstlerin ihr malerisches Programm entwickelt. Die Farbwerte werden in den Werken von Andrea Behn im Laufe des Arbeitsprozesses sukzessive verringert, indem die Künstlerin aus der zugrunde liegenden intensiven Farbigkeit durch Überlagerung, Schichtung und Spursetzung einen Farbkanon entwickelt, der in seinen Buntwerten deutlich reduziert ist, aber in seinen Oberflächendifferenzierungen an Aspekten und Strukturen gewinnt. Die Künstlerin verfolgt diesen Prozess, bis sie für das Bild einen Gesamtklang ermalt hat. Dieser Umgang mit Klang- und Farbklangkörpern zeichnet die Malerei von Andrea Behn aus. Neben dem Farbklang ist aber auch die Konzeption eines Formenkanons wichtig. Entwickelt sich die Farbigkeit in den Arbeiten von Andrea Behn aus jener besonderen Überlagerungsstruktur, die jür jedes einzelne Bild immer wieder neu erarbeitet wird, so reminisziert sie in ihren gestalterischen Formen auch gegenständliche Elemente, die sich wie Spuren einer außerbildlichen Realität in die Arbeiten einfügen – ähnlich versteckt wie die Spuren der grundbildenden Farbigkeiten und im Prozess der Arbeit immer wieder neu über- und verdeckt. Der schriftartige Duktus, den Andrea Behns Malerei gerade an diesen Formelementen entwickelt, erinnert gleichsam an Spuren eines unbekannten Bildzustands, der auf eine Zeitlichkeit verweist, die vor dem eigentlichen Bild zu liegen scheint.
In den jüngsten Werken der Künstlerin verdichten sich die Farbräume zu immer größerer Geschlossenheit und lassen gleichsam in Raumschnitten nur sparsamst Durchblicke auf andere scheinbar vorgelagerte Ebenen zu. Die Verweise auf außerbildliche Gegenständlichkeit sind in diesen Arbeiten weitgehend reduziert und konzentrieren sich stärker auf einen durchstrukturierten Oberflächenfarbklang, der sich je nach Arbeit in einer aus vielen Komponenten zusammengesetzten klanglichen Harmonie entwickelt. Der Farbraum, den Andrea Behn in diesen Arbeiten ermalt, entwickelt sich durch die trockene und materialnahe Verwendung der Farbpigmente aus den Bildern heraus und bildet einen sehr gleichwertigen Raumkörper zum eigentlichen Bildkörper, den die Künstlerin mittels der späteren Keilrahmenkonstruktion für jedes einzelne Bild neu schafft.
Die Arbeiten, die in den letzten beiden Jahren entstanden sind, verstärken jenen nahezu kalligraphischen Duktus, der sich auch in den früheren Arbeiten immer wieder andeutete, und zeigen Schraffuren und Linienoberflächen, die teils wie Spuren, teils wie Schnitte die Bildoberfläche markieren. Das Auge wandert bei der Betrachtung der Farbraumkörper, als die sich die Arbeiten von Andrea Behn nach längerer Betrachtung immer stärker erweisen, zwischen jenen konkreten Linien und den atmosphärischen Raum- und Flächenelementen hin und her, in dem Bestreben, Fixpunkte im Bild zu finden, um sie gleichsam im zweiten Schritt sofort wieder zu verlieren. Der konkrete Bezug, den die Betrachtung immer wieder zulässt, ist jedoch der Körper des Bildes selbst, der sich von der Wand als gestaltetes Selbst abhebt und das Bild so zu einem Stück Wand werden lässt, das gleichsam selbstständig unabhängig vom Raum im Raum existiert. Die Oberflächen der Acrylbilder besitzen eine hohe haptische Qualität, da die Stofflichkeit der Farbe durch ihren trockenen und offenen Charakter gleichsam wie im Prozess einer Entstehung begriffen scheint. Es bildet sich keine schützende Haut, wie man es oftmals bei Ölmalereien erlebt, die das Bild vor den Blicken oder auch den »Zugriffen« der Betrachter schützt, sondern die Oberfläche ist taktil, offen, verletzlich und erweitert sich von daher auch farblich in den angrenzenden Raum. Diese Verletzlichkeit in der Oberfläche scheint besonders sinnfällig bei den Arbeiten, die mit jenen beschriebenen Lineaturschraffuren arbeiten, die gleichsam wie eine malerische Verletzung die Oberfläche aufreißen und sie für die Betrachtung öffnen.
Dieser besondere Eindruck stellt sich auch bei jenen Arbeiten ein, in denen sich der Betrachterblick an einem Gegenstand oder einer räumlichen Figur orientieren kann, die scheinbar einen Haltepunkt für die Betrachtung anbieten. Auch steht die Qualität der Offenheit und nicht die Qualität der Konkretion im Vordergrund und vermag dem Objekt ebenso eine Qualität von Spur und Erinnerung abzuringen, wie es den jüngsten Arbeiten durch die Schraffuren und schriftartigen Setzungen gelingt. Diese besondere Qualität von Malerei in ihrer Offenheit und Raumbezogenheit ist zwangsläufig für die Künstlerin nur immaterial auf Papier zu erreichen, da hier zwischen Farbe und Grund keine Durchdringung erreicht wird, sondern die Farbe in ihrer spezifischen Stofflichkeit ihre Eigenständigkeit und Identität behält. Der Malprozess, bei dem die Farbe auf den Untergrund aufgerieben und in vielen Schichten kraftvoll aufgetragen wird, hätte kein Analog bei der Malerei auf Leinwand, die in einem anderen, mehr organischen Verhältnis im malerischen Prozess die Farbe aufnimmt und wie ein eigener Körper wiedergibt. Das nachträgliche Aufkaschieren entspricht so dem Verschmelzen des Bildes mit dem Raum und der gestalterischen Intention, dem Bild und damit dem Farbkanon einen »Klangkörper« zu geben, auf dem und mit dem die Farben im Raum zur Schwingung gelangen.
Auszug aus dem Buch:
„55 aus Dortmund, Portraits aus Kunst, Kultur & Medien, 1998“
Photographiert von Jürgen Wassmuth, mit Texten von Rainer Wanzelius; Harenberg Edition
Andrea Behn, Freischaffende Künstlerin,
geboren am 22. Dezember 1958 in Dortmund
Der Prozeß des Malens ist ein Prozeß des Suchens; die Bilder, wenn sie entstehen, verlangen vom Malenden Entscheidungen, immer neue Entscheidungen; ein langer Weg, bis ich habe, was ich will. Betrachtendes Abstandnehmen und nichtbetrachtendes Abwenden sind Teile des Arbeitsprozesses; ihnen verdanken die Bilder neue Impulse. Unberührt davon das zentrale Anliegen, das wiederkehrende Thema: das Aufspüren der Balancen, das kompositorische Gleichgewichten von Farbflächen und Dynamik, von Eindruck und Ausdruck, von Zustand und Bewegung.
Das Bildformat verändert nicht das Anliegen, wohl aber dessen Maß (und die Werkzeuge): Je größer das Bild, desto mehr kann sich der Betrachter hineinbegeben. Oder mit Mark Rothko: „Ein kleines Bild beläßt den Betrachter außerhalb der eigenen Erfahrung, ein größeres Bild stellt ihn hinein.“