Beschreibung BILDORTE, Ulfried Weingarten im März 2006

„Bilder wandern nach der Entstehung im Atelier zu verschiedenen Orten – wie Kunstvereine, Galerien, Museen, mal Probeweise in Wohnungen oder Häuser, sie gesellen sich zu anderen Werken in das Bilderlager der Künstlerin oder an eine Wand im Wohnzimmer – und wenn sie den Besitzer wechseln, verbleiben sie an einem Ort.“

Mit dieser Feststellung hat Andrea Behn im Spätsommer 2004 dazu eingeladen, ihr Fotos zu schicken, die über den Verbleib ihrer Arbeiten Auskunft geben. BILDORTE hieß die Atelierausstellung, die aus den Rückmeldungen erwachsen ist und in diesem Buch noch einmal erlebbar wird.

Keine Retrospektive! Niemand muss ein Bild von seinem Ort entfernen und in seinen Räumen eine Leerstelle ertragen; für die Künstlerin mildert sich das Endgültige, das ansonsten mit der Weggabe eines Bildes verbunden ist. Was die BILDORTE demnach zuerst zeigen, ist die emotionale Verbundenheit, die die Bilder von Andrea Behn zu bewirken vermögen. Aber die Bilder erhalten zugleich die Chance, in den Köpfen der Betrachter der BILDORTE in Kommunikation zu treten mit einander und mit den Betrachtern selbst.

Der Prozess der Kommunikation, aus dem einen die Arbeiten von Andrea Behn nie entlassen, scheint ein wesentlicher Aspekt zu sein, wenn man sieht, wo die Malereien, Zeichnungen und Objekte ihren Platz gefunden haben: Garderobe und Wohnzimmer, Treppenhaus und Küche, zwischen zwei Türen oder auf dem Fußboden stehend, wen es einen Platz an der Wand noch nicht oder nicht mehr gibt, die Anwesenheit des Bildes in diesem Raum aber offenbar besonders wichtig ist. – Gerade an ihren hier gezeigten Orten scheint es notwenig, dass ein Bild seine Strahlkraft entwickelt und seine Energie freisetzt, seine Position behauptet und den physischen und gedanklichen Prozess seiner Entstehung erspürbar werden lässt und bewusst macht.
Es erscheint als mutiger Schritt, die Bilder an diesen Orten unmittelbar in das eigene Leben einzubeziehen, denn sie erweisen sich als Widerpart zu den eignen Positionen, sagen Dinge, die man in seiner eigenen Sprache weder denken noch sagen kann und verweisen uns damit in die Enge der eigenen Schranken.
Gleichzeitig fördern sie aber die Erkenntnis und den Mut, die Grenzen zu überwinden, dem Ist-Zustand ein „Trotzdem“ entgegenzusetzen und einen Blick auf die Welt zu entwickeln, der weder resignativ, noch allein wirtschaftlicher Relevanz und Konsum orientiert ist.

Das Empfinden des eigenen Mangels und das Aufscheinen der Ergänzung in den Bildwerken erinnert an den Begriff σύμβολον (Symbolon / Symbol) und die Geschichte, die dahinter zu erkennen ist.

Im Griechischen bedeutete dieses Wortes ursprünglich soviel wie „Beglaubigungs- und Erkennungszeichen“. Wenn zwei Freunde für längere Zeit oder für immer voneinander schieden, so zerbrachen sie eine Münze, einen Ring oder ein Täfelchen so, dass die Bruchkanten zusammen exakt wieder zusammengefügt werden konnten. (Vgl. Platon „Symposion“). Beide Freunde nahmen jeweils einen Teil des zerbrochenen Gegenstandes an sich. Kam nach Jahren der Freund selbst oder jemand von der befreundeten Familie zurück, so konnte der Gegenstand wieder zusammengefügt werden und die zusammenfügten Teile bestätigen, dass der Träger des einen Bruchstücks wirklich Anspruch auf die Gastfreundschaft besaß: Der Schmerz des Verlustes war ausgeglichen.

An ihren Orten sind die Bilder von Andrea Behn dem σύμβολον vergleichbar.
Ein Bild hängt deshalb in diesem Raum, weil es die andere Hälfte des σύμβολον (Symbolon) ist, in die wir unser Vertrauen legen, sodass die erstrebte eigene Ganzheit – als Sehnsucht, Hoffnung oder Erfüllung – in uns aufzuscheinen vermag.
Ulfried Weingarten im März 2006